Präsentismus

Präsentismus: Ein unterschätztes Phänomen der Arbeitswelt

Präsentismus gewinnt in der modernen Arbeitswelt zunehmend an Bedeutung und wird oft unterschätzt. Damit ist die Situation gemeint, in der Mitarbeitende entgegen besserem Wissen und nach gesundheitlichen Beschwerden trotzdem zur Arbeit erscheinen. 

Ob aus Pflichtbewusstsein, Angst vor negativen Konsequenzen oder mangelndem Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse – die Gründe sind vielfältig. Ungeachtet der Intentionen hat dieses Verhalten weitreichende Konsequenzen: Es schadet nicht nur der Gesundheit der Betroffenen, sondern führt auch zu erhöhten wirtschaftlichen und organisatorischen Risiken für Unternehmen.

In diesem Artikel beleuchten wir ausführlich die DefinitionUrsachenFolgen sowie Maßnahmen gegen Präsentismus, um ein besseres Verständnis für dieses Phänomen zu schaffen.

Was ist Präsentismus? – Eine Definition

Präsentismus, auch unter dem Begriff „Presenteeism“ bekannt, bezeichnet das Verhalten von Arbeitnehmern, die krank zur Arbeit erscheinen oder ihre Arbeit trotz gesundheitlicher Einschränkungen von zu Hause aus fortsetzen, obwohl sie eigentlich eine Pause brauchen. Anders als beim Absentismus, der das krankheitsbedingte Fehlen beschreibt, ist Präsentismus durch die physische Anwesenheit, jedoch nicht die volle Leistungsfähigkeit gekennzeichnet.

Verbreitung und Bedeutung

In Deutschland ist Präsentismus ein weit verbreitetes Phänomen. Schätzungen und Studien haben gezeigt, dass eine signifikante Anzahl an Arbeitnehmern, insbesondere in stark wettbewerbsorientierten Branchen, dazu neigt, trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen zur Arbeit zu gehen. Forscher schätzen, dass nahezu 40–50 % der Arbeitnehmer in stressreichen Berufen gelegentlich anwesend sind, obwohl sie sich nicht in der Lage fühlen, ihre Aufgaben adäquat zu erfüllen. 

Die Konsequenzen sind alarmierend: Neben ernsten gesundheitlichen Bedenken können Präsentismus zu erheblichen Produktivitätsverlusten führen. Diese wiederum können sich in finanziellen Einbußen für Unternehmen äußern, die oft ignoriert werden, da die Folgen nicht sofort sichtbar sind.

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Der Gegensatz von Präsentismus: Absentismus

Absentismus ist das Gegenteil von Präsentismus und beschreibt die Situation, in der Mitarbeitende aufgrund von Krankheit oder anderen Gründen nicht zur Arbeit erscheinen. Während Präsentismus durch physische Anwesenheit trotz gesundheitlicher Beschwerden gekennzeichnet ist, führt Absentismus zu Fehlzeiten, die oft durch eine Krankschreibung dokumentiert werden. Absentismus kann ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf die Produktivität und die wirtschaftliche Leistung eines Unternehmens haben, da die Abwesenheit von Angestellten den Arbeitsablauf stören und die Belastung für die verbleibenden Arbeitskollegen erhöhen kann.

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Ursachen von Präsentismus

Die verschiedenen Gründe, warum Mitarbeitende trotz gesundheitlicher Beschwerden zur Arbeit gehen, sind komplex und eng mit der Unternehmenskultur sowie den spezifischen Bedingungen am Arbeitsplatz verknüpft.

1. Arbeitskultur und Leistungsdruck

Eine stark ausgeprägte Präsenzkultur innerhalb eines Unternehmens spielt eine entscheidende Rolle. Die Erwartungshaltung, dass Mitarbeitende immer physisch anwesend sein sollten, führt dazu, dass selbst bei Krankheit ein Druck entsteht, weiterhin aktiv zu sein. Dieses Verhalten der Mitarbeitenden kann als Teil eines ungeschriebenen Gesellschaftsvertrags betrachtet werden, in dem Überstunden und ständige Erreichbarkeit als Zeichen von Engagement und Loyalität gewertet werden. Dies lenkt die Aufmerksamkeit von der tatsächlichen Leistungsfähigkeit ab und fördert oft die falsche Annahme, dass Anwesenheit gleich Leistungssteigerung bedeutet.

2. Angst vor beruflichen Nachteilen

Die Angst vor den Auswirkungen einer Krankmeldung auf die Karriere ist ein weiterer zentraler Faktor. Viele Arbeitnehmer befürchten, dass das Einfordern von Ruhezeiten und das Ausruhen bei Krankheit als Schwäche oder Unzuverlässigkeit wahrgenommen wird. Dies ist besonders in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit verbreitet, wo der Verlust des Arbeitsplatzes oder die Möglichkeit, eine Beförderung zu erhalten, auf dem Spiel stehen könnten. Diese inadequaten Ängste führen häufig dazu, dass Mitarbeitende auch bei schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen weiterhin zur Arbeit gehen.

3. Personalmangel

In vielen Unternehmen herrscht ein erheblicher Personalmangel, besonders in Sektoren, die auf eine kontinuierliche Besetzung angewiesen sind, wie z. B. im Gesundheitswesen oder in der Logistik. Wenn ein Mitarbeiter krankheitsbedingt ausfällt, kann dies zu erheblichen Belastungen für die verbleibenden Teammitglieder führen. Aus einem Gefühl der Verantwortung gegenüber den Kollegen oder um den Betriebsablauf nicht zu stören, entscheiden sich viele, trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen zu erscheinen.

4. Unzureichendes Bewusstsein für gesundheitliche Risiken

Ein weiterer Aspekt, der zum Präsentismus beiträgt, ist das häufig unzureichende Bewusstsein von Mitarbeitenden über die gesundheitlichen Risiken, die mit dem Arbeiten trotz Krankheit verbunden sind. Viele Arbeitnehmer glauben, dass ihre Symptome nicht schwerwiegend genug sind oder dass sie in der Lage sind, ihre Aufgaben trotzdem zu erfüllen. Dies führt zu einer Unterschätzung der gesundheitlichen Risiken und kann in langfristigen Problemen resultieren.

5. Stress und Zeitdruck

Hohe Arbeitsbelastungen, enge Deadlines und das stetige Gefühl der Unersetzlichkeit verstärken den Präsentismus. Wenn Mitarbeitende das Gefühl haben, dass ihre Aufgaben nicht ohne sie erledigt werden können, bleibt oft keine Zeit für eine persönliche Erholung. Die Kombination aus akutem Stress und Zeitdruck kann nicht nur zu einer Abnahme der physischen Gesundheit führen, sondern auch zu einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von psychischen Erkrankungen wie Burnout oder Depressionen.

Auswirkungen von Präsentismus

Die Folgen des Präsentismus sind tiefgreifend und betreffen sowohl die individuellen Mitarbeitenden als auch das Unternehmen als Ganzes.

Gesundheitliche Folgen

  • Chronifizierung von Erkrankungen: Fehlt den Mitarbeitenden die Möglichkeit zur Erholung, können akute gesundheitliche Beschwerden schnell zu chronischen Erkrankungen werden. Beispielsweise können Rückenschmerzen, die durch eine falsche Haltung am Arbeitsplatz verursacht werden, bei fehlender Ruhe und Behandlung zu langfristigen gesundheitlichen Einschränkungen führen.

  • Erhöhte Ansteckungsgefahr: Mitarbeitende, die trotz Erkrankung arbeiten, setzen nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Kollegen einer erhöhten Ansteckungsgefahr aus. Dies ist insbesondere in Zeiten von Epidemien, wie der Grippe oder COVID-19, von großer Bedeutung.

  • Psychische Belastung: Langanhaltender Präsentismus verschärft das Risiko für psychische Erkrankungen, sei es durch Überarbeitung, schwankende Stimmungsänderungen oder die ständige Belastung, tagsüber zu funktionieren, während man sich innerlich erschöpft fühlt.

  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Dauerhafte Stresssituationen, die durch Präsentismus begünstigt werden, führen häufig zu schwerwiegenden Erkrankungen, wie Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Hohe Stresslevel in der Arbeit können langfristig erheblich zur Mortalität beitragen.

Wirtschaftliche Kosten

Die wirtschaftlichen Kosten, die mit Präsentismus verbunden sind, sind signifikant. Untersuchungen zeigen, dass der Produktivitätsverlust durch Präsentismus häufig mehr als zehnmal so hoch ist wie der Verlust durch Absentismus. Unternehmen investieren erhebliche Mittel in Gesundheitsschutzmaßnahmen, um Abwesenheiten zu reduzieren, übersehen jedoch oft die schwer quantifizierbaren Kosten des Präsentismus.

Risiken für die Arbeitsleistung

Angestellte, die trotz gesundheitlicher Beschwerden anwesend sind, nutzen oft ihre Ressourcen weniger effektiv. Die Fehlerquote steigt, was besonders in sicherheitskritischen Berufen, wie etwa in der Luftfahrt oder im Gesundheitswesen, katastrophale Folgen haben kann. Ein krankheitsbedingter Fehler kann nicht nur wirtschaftliche Schäden verursachen, sondern auch die Gesundheit von Kolleg:innen oder Kunden gefährden.

Präsentismus in der Arbeitswelt

  • Branchenunterschiede: Verschiedene Branchen zeigen unterschiedliche Präsentismus-Raten. Angestellte im öffentlichen Sektor machen nachweislich weniger oft Präsentismus als ihre Kollegen im privaten Sektor, verbringen jedoch oftmals längere Zeit im Krankenstand. Dies könnte an den unterschiedlichen Anforderungen und Arbeitsbedingungen der jeweiligen Sektoren liegen.

  • Geschlechterunterschiede: Studien belegen, dass Frauen in der Regel weniger Präsentismus zeigen als Männer, während ihre Fehlzeiten kürzer sind. Dies könnte auf eine höhere Sensibilität für Gesundheitsthemen und eine maßvollere Herangehensweise an die Balance zwischen Beruf und Privatleben zurückzuführen sein.

Auswirkungen auf die Unternehmenskultur

Eine ausgeprägte Präsenzkultur kann langfristig dem Teamgeist schaden. Mitarbeitende, die trotz Krankheit zur Arbeit erscheinen, könnten das Risiko für Ihre Kolleg:innen erhöhen. Diese Praxis kann eine toxische Atmosphäre schaffen, in der das Wohlbefinden der Mitarbeitenden weniger wertgeschätzt wird und hohe Arbeitslasten sowie Überstunden zur Norm werden.

Maßnahmen gegen Präsentismus

Die Bekämpfung von Präsentismus erfordert eine Kombination aus strukturellen und kulturellen Veränderungen in Unternehmen.

Flexible Arbeitsmodelle

Durch die Einführung flexibler Arbeitsmodelle, einschließlich der Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, können Mitarbeitende ihre Erholung besser steuern. So sind sie in der Lage, bei gesundheitlichen Beschwerden häuslichen Komfort zu genießen und sich gleichzeitig auf wichtige Arbeitsaufgaben zu konzentrieren, ohne die Produktivität zu beeinträchtigen.

Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz

Ein betriebliches Gesundheitsmanagement, (BGM)-Plan ist entscheidend, um das Wohlbefinden der Mitarbeitenden zu fördern. Unternehmen können Programme zur Prävention und Gesundheitsförderung anbieten, die nicht nur die körperliche Fitness sichern, sondern auch das Bewusstsein für mentale Gesundheit und deren Bedeutung schärfen. Das Beispiel eines solchen Programms könnte regelmäßige Fitness-Kurse, vegetarische Mittagessen oder auch kostenlose Meditationssessions umfassen.

Sensibilisierung und Schulung

Führungskräfte sollten in der Erkennung von Präsentismus geschult werden, um ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen. Schulungsprogramme können dabei helfen, das Verständnis für die negative Auswirkungen von Präsentismus zu vertiefen. Auch Informationen über die Gesundheitsrisiken, die sich aus krankheitsbedingtem Arbeiten ergeben, sind essenziell.

Verbesserung der Arbeitsbedingungen

Eine signifikante Reduzierung des Arbeitsdrucks, das Etablieren klarer Vertretungsregelungen und eine offene Kommunikationskultur sind wirksame Maßnahmen, um ein gesundes Arbeitsumfeld zu fördern. Dies könnte bedeuten, dass bei Fehlzeiten von Mitarbeitenden zeitnah Vertretungen eingeplant werden, sodass die zurückbleibenden Teammitglieder nicht in zusätzliche Belastungen geraten.

Lesetipp: Abkürzung i. V. - in Vertretung

Psychische Gesundheit fördern

Die Förderung der mentalen Gesundheit sollte Teil des ganzheitlichen Ansatzes zur Bekämpfung des Präsentismus sein. Unternehmen können Stressmanagement-Programme einführen, die Werkzeuge und Strategien vermitteln, um mit Stress und Belastung umzugehen. Der Zugang zu psychologischer Unterstützung sollte ebenfalls gewährleistet sein, um Mitarbeitenden bei Bedarf gezielte Hilfe zu bieten.

Fazit

Präsentismus ist ein weit verbreitetes, jedoch häufig unterschätztes Phänomen in der modernen Arbeitswelt. Während Absentismus durch Fehlzeitenstatistiken leicht messbar ist, bleibt das Problem des Präsentismus oft im Verborgenen, mit erheblichen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen für alle Beteiligten. Unternehmen sind gefordert, diesem Verhalten durch präventive Maßnahmen, eine gesundheitsfördernde Arbeitskultur und flexible Arbeitsbedingungen entgegenzuwirken.

Die gezielte Investition in die Gesundheit der Mitarbeitenden ist nicht nur eine wirtschaftliche Notwendigkeit, sondern auch ein moralisches Gebot, das das Vertrauen und die Loyalität der Beschäftigten stärkt.

Letztendlich profitieren alle – von den einzelnen Beschäftigten bis hin zu den Unternehmen und der gesamten Gesellschaft. Eine gesunde Arbeitsumgebung, die das Wohlbefinden der Mitarbeitenden wertschätzt, ist der Schlüssel zu einer erfolgreicheren und nachhaltigen Zukunft in der Arbeitswelt.

Bild: (© deagreez – stock.adobe.com)

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