Es gibt sie in fast jedem Unternehmen: Kolleginnen und Kollegen, die einfach nie fehlen. Statistisch betrachtet handelt es sich bei diesen Personen um eine besondere Gruppe, die trotz Krankheit regelmäßig zur Arbeit erscheint. Egal, ob mit Halsschmerzen, Fieber oder sichtbarer Erschöpfung – sie stehen zuverlässig an ihrem Arbeitsplatz, Tag für Tag. Auf den ersten Blick erscheinen diese Mitarbeiter als Traummitarbeiter, doch ihr Verhalten wirft viele Fragen auf.
Doch dieses Phänomen, bekannt als Präsentismus, wirft eine Reihe von Fragen und tiefgreifenden Problemen auf, die sich oft erst auf den zweiten Blick zeigen.
In vielen Teams entsteht unbewusst eine Art Leistungsdruck, wenn einzelne Mitarbeitende dauerhaft präsent sind – auch dann, wenn sie eigentlich krank sind. Das Verhalten eines einzelnen Kollegen kann dabei das gesamte Team beeinflussen, indem es Erwartungen an Belastbarkeit und Anwesenheit setzt. Dieses Verhalten sorgt für ein verzerrtes Bild von Belastbarkeit und Leistungsbereitschaft. Während die einen im Urlaub regenerieren oder sich krankschreiben lassen, schuften andere mit Grippe im Großraumbüro weiter. Dies kann langfristig die Teamdynamik stören, zu Missgunst führen – oder im schlimmsten Fall den Krankenstand im gesamten Unternehmen hochtreiben.
Denn wer sich krank zur Arbeit schleppt, riskiert nicht nur die eigene Gesundheit, sondern steckt womöglich auch andere an. Die Abwesenheit einzelner Teammitglieder – sei es durch Krankheit oder andere Gründe – kann die Dynamik und Produktivität des Teams erheblich beeinflussen. So wird aus einem Einzelphänomen schnell ein systemisches Problem, das die gesamte Unternehmenskultur betrifft.
Die Gründe, warum manche Menschen nie fehlen, sind vielfältig. Manche haben ein starkes Pflichtgefühl oder eine hohe persönliche Motivation, während andere unter enormem Druck stehen – sei es durch den Chef, das Arbeitspensum oder die ständige Angst vor Arbeitsplatzverlust. Oft spielen auch Gedanken eine Rolle, etwa das schlechte Gewissen gegenüber Kollegen oder die Überlegung, durch Anwesenheit niemanden zusätzlich zu belasten.
Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Mitarbeiter, der aufgrund von Überstunden und Deadlines häufig zu spät nach Hause kommt, könnte sich dazu genötigt fühlen, bei Krankheit trotzdem ins Büro zu gehen, um keinen Eindruck von Schwäche zu hinterlassen. Neben dem Pflichtgefühl können auch Ängste, wie die Furcht vor negativen Konsequenzen oder Mobbing, dieses Verhalten verstärken. Kulturelle Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle. In einigen Betrieben gilt „krank sein“ noch immer als Schwäche – ein Überbleibsel aus vergangenen Arbeitsgenerationen, das in der modernen Arbeitswelt keinen Platz mehr haben sollte.
Während Absentismus – also übermäßiges Fehlen – oft schnell auffällt und problematisiert wird, bleibt Präsentismus lange unter dem Radar. Dabei zeigen Daten, dass die wirtschaftlichen Folgen von Präsentismus teilweise sogar höher sind. Im Vergleich zu den durchschnittlichen Fehltagen können die durch Präsentismus verursachten Fehlzeiten und Produktivitätsverluste sogar noch gravierender sein. Mitarbeitende, die angeschlagen zur Arbeit erscheinen, machen häufiger Fehler, ihre Produktivität sinkt, und sie verlängern womöglich ihre Genesungszeit.
Für Unternehmen bedeutet das: mehr Kosten, weniger Qualität, und eine höhere Belastung für das restliche Team. Fakt ist: Wenn ein Mitarbeiter beispielsweise an einem wichtigen Projekt arbeitet, während er an einer ansteckenden Krankheit leidet, kann dies die Arbeit des gesamten Teams gefährden.
Hier ein Überblick über die wichtigsten Maßnahmen und Rechte im betrieblichen Gesundheitsmanagement: Unternehmen und Mitarbeitende haben verschiedene Möglichkeiten, die Gesundheit am Arbeitsplatz zu fördern und ihre Rechte im Krankheitsfall wahrzunehmen.
Guter Gesundheitsschutz beginnt im Kopf – und bei der Führung. Wer von seinen Beschäftigten erwartet, jederzeit verfügbar zu sein, signalisiert, dass Krankheit kein akzeptabler Zustand ist. Unternehmen sollten stattdessen offen für das Thema Fehlen sein – nicht im Sinne von Sanktionen, sondern im Sinne von Verständnis. Die Bedeutung eines gesunden Arbeitsumfelds für das Unternehmen ist dabei nicht zu unterschätzen, da es die Produktivität und das Wohlbefinden der Mitarbeiterschaft maßgeblich beeinflusst.
Wichtige Maßnahmen sind:
Förderung einer offenen Kommunikationskultur: Schaffen Sie Räume, in denen Mitarbeitende sich sicher fühlen, ihre gesundheitlichen Anliegen zu äußern.
Schulung von Führungskräften im Umgang mit Krankheit: Sensibilisieren Sie Führungskräfte für die Herausforderungen, die Krankheit für Mitarbeitende mit sich bringt.
Stärkung des betrieblichen Gesundheitsmanagements: Implementieren Sie Programme, die das psychische und physische Wohlbefinden fördern. Die Rolle des Betriebs bei der Entwicklung und Umsetzung solcher Maßnahmen ist entscheidend.
Anonyme Gesundheitsumfragen: Nutzen Sie Umfragen, um die Belastung der Mitarbeitenden zu messen und potenzielle Probleme frühzeitig zu identifizieren. Die befragten Mitarbeitenden liefern dabei wertvolle Einblicke in ihren Gesundheitszustand und ihr Arbeitsverhalten.
Klare Regelungen zur Krankschreibung und Homeoffice: Sorgen Sie dafür, dass alle Mitarbeitenden wissen, dass es in Ordnung ist, sich auch einmal krankschreiben zu lassen. Die Rechte der Mitarbeitenden im Krankheitsfall müssen dabei stets gewahrt bleiben.
Eine weitere Maßnahme ist die Einführung flexibler Arbeitszeiten, um auf individuelle Bedürfnisse und den Gesundheitszustand der Mitarbeiterschaft einzugehen.
Der Gesundheitszustand der Mitarbeiters beeinflusst maßgeblich das Arbeitsverhalten und die Effektivität betrieblicher Maßnahmen. Der Betriebsrat spielt eine wichtige Rolle bei der Mitgestaltung und Überwachung von Gesundheitsmaßnahmen im Unternehmen. Auch der Arbeitgeber trägt eine besondere Verantwortung für die Gesundheit der Mitarbeitenden und muss geeignete Maßnahmen ergreifen, um deren Wohlbefinden zu schützen.
Die Bedeutung eines umfassenden Gesundheitsmanagements für die Gesundheit jedes Mitarbeiters ist daher nicht zu unterschätzen. Unternehmen und Mitarbeitende haben zahlreiche Möglichkeiten, gemeinsam ein gesundes Arbeitsumfeld zu schaffen und zu erhalten.
Ein gesunder Arbeitsplatz ist mehr als nur ein ergonomischer Stuhl. Es geht um die gesamte Unternehmenskultur: Wird Leistung höher bewertet als Menschlichkeit? Ist der Krankenstand ein Tabuthema? Wie offen wird über Belastung und Stress gesprochen?
Gerade in stressintensiven Branchen ist es wichtig, Prävention nicht nur als Buzzword zu sehen. Gesundheitsförderung muss gelebt werden – in Meetings, Pausenregelungen, Projektplänen und bei der Aufgabenverteilung. Ein Beispiel hierfür wäre die Einführung flexibler Arbeitszeiten, die Mitarbeitenden ermöglichen, ihre Arbeit an ihre persönlichen Bedürfnisse anzupassen.
In vielen Fällen meinen es „nie-kranke“ Kolleg:innen einfach gut. Sie wollen das Team nicht hängen lassen, Projekte retten oder sich schlicht als belastbar beweisen. Gerade wenn eine Kollegin trotz Krankheit am Arbeitsplatz erscheint, um das Team zu unterstützen, kann dies jedoch unbeabsichtigt zu Präsentismus führen. Doch diese Selbstlosigkeit kann schnell kippen. Wenn aus Loyalität eine Dauerbelastung wird, leidet irgendwann auch die Psyche – was später zu längeren Fehlzeiten führen kann.
Einige Unternehmen haben bereits Programme zur Stressbewältigung eingeführt, um ihre Mitarbeitenden bei der Selbstfürsorge zu unterstützen. Führungskräfte sollten deshalb genau hinsehen. Wer dauerhaft auf der Überholspur fährt, braucht vielleicht nicht mehr Arbeit – sondern endlich eine Pause.
Ein einfacher Satz wie „Schön, dass du wieder da bist“ nach einer Krankheit sagt viel aus. Er zeigt Wertschätzung, ohne subtil zu verurteilen. Ebenso wichtig ist es, Feedback-Runden zu nutzen, um offen über Belastungen zu sprechen – auch anonym. Sichtbare Symptome wie glasige Augen oder Augenermüdung können Hinweise auf gesundheitliche Einschränkungen durch Präsentismus sein und sollten im Team nicht übersehen werden. So könnten Abteilungsleiter regelmäßig im Team-Meeting die Möglichkeit eröffnen, über Stressfaktoren und gesundheitliche Belastungen zu diskutieren, um eine Kultur des Miteinanders zu schaffen.
Regelmäßige Gespräche im Team oder im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements helfen, Probleme frühzeitig zu erkennen. Denn niemand sollte das Gefühl haben, krank nicht fehlen zu dürfen oder in der Krankschreibung eine Schwäche zu erkennen.
Nicht jeder Mensch tickt gleich. Die individuellen Unterschiede im Verhalten des Arbeitnehmers spielen dabei eine zentrale Rolle, da arbeitsbezogene, soziale und gesundheitliche Faktoren das Verhalten des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz maßgeblich beeinflussen. Manche arbeiten effizienter im Homeoffice, andere brauchen die Präsenz im Büro. Einige sind resistenter gegen Stress, während andere schneller ihre Grenzen spüren. Entscheidend ist: Ein gutes Team erkennt und respektiert diese Unterschiede – und baut darauf eine Arbeitskultur, die nicht auf Heldentum basiert, sondern auf Menschlichkeit.
Die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, könnte vielen Mitarbeitenden helfen, eine Balance zwischen Berufs- und Privatleben zu finden. So können sie bei Krankheit oder Überlastung unkompliziert eine Auszeit nehmen, ohne sich schlecht zu fühlen.
Die moderne Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren rasant verändert – Homeoffice und mobiles Arbeiten sind für viele Kolleginnen und Kollegen längst Alltag geworden. Doch gerade diese Flexibilität birgt neue Herausforderungen: Präsentismus,
Was bringt’s, wenn in der Betriebsvereinbarung fünf Krankheitstage ohne Attest erlaubt sind, aber die Führungskraft trotzdem missbilligend schaut? Nichts. Die Rolle des Managements ist zentral. Vorgesetzte, die selbst krank zur Arbeit kommen, setzen das falsche Signal – und zwingen ihr Team oft indirekt zur Imitation. Ein Beispiel: Wenn die Teamleitung selbst nie einen Urlaubstag nimmt, wird der Druck, ebenfalls immer verfügbar zu sein, unbewusst weitergegeben.
Starke Führung zeigt sich, wenn Pausen, Urlaub und Krankheit nicht als Schwächen, sondern als Teil eines gesunden Arbeitslebens akzeptiert werden. Wenn das Führungsteam ein Vorbild in Sachen Selbstfürsorge ist, werden Mitarbeitende sich sicherer fühlen, ihre eigenen Bedürfnisse zu äußern.
Kollegen, die nie krank sind, beeindrucken auf den ersten Blick. Doch wer genauer hinsieht, erkennt: Das scheinbare Ideal ist oft ein Warnsignal. Der moderne Arbeitsmarkt verlangt nicht nach Übermenschen, sondern nach Menschen, die ihre Grenzen kennen – und respektiert werden, wenn sie diese auch ziehen.
Im besten Fall schaffen es Unternehmen, ihren Mitarbeitenden das Gefühl zu geben: „Es ist okay, mal zu fehlen – und du bist trotzdem wichtig.“ Eine aktuelle dpa-Studie unterstreicht, wie wichtig eine Unternehmenskultur ist, die Mitarbeitenden ermöglicht, bei Krankheit zu Hause zu bleiben, um die Gesundheit des gesamten Teams zu schützen. Denn am Ende zählt nicht, wie oft jemand da ist, sondern wie gesund, motiviert und produktiv er wirklich arbeitet.
Tipp aus der Redaktion von HeroJob.de: Sprechen Sie das Thema offen in Ihrem Betrieb an. Schon ein kleiner Impuls im nächsten Team-Meeting kann große Wirkung entfalten.
Bild: (© LIGHTFIELD STUDIOS – stock.adobe.com)
Diese Artikel könnten Sie auch interessieren:
Damit Sie den Überblick über alle wichtigen Jobs behalten, können Sie Jobs als Favoriten markieren.
Die Jobangebote bleiben hier gespeichert.